Was ist ein Trauma?

Was ist ein Trauma?

 „Traumen sind kurz- oder langanhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würden.“

Traumadefinition lt.  WHO 1994:

Ein psychisches Trauma ist ein Ereignis, das die Fähigkeit der Person, für ein minimales Gefühl von Sicherheit und integrativer Vollständigkeit zu sorgen, abrupt überwältigt. Das Selbst- und Weltverständnis ist erschüttert.

Viele Traumasymptome sind normale Reaktionen auf überwältigende Zustände, wie Levine sagt. Die vermehrte Erregungsenergie und das „Zumachen“ (wenn kein Entkommen möglich ist) sind biologisch fest eingebaute Überlebensmechanismen, die in den primitivsten Teilen unseres Gehirns, dem sogenannten „Reptiliengehirn“, organisiert werden. Dieses 260 Millionen Jahre alte Schutzsystem ist jedoch für einen zeitlich begrenzten Einsatz gedacht; unser Körper ist so angelegt, dass wir zu einem normalen Rhythmus zurückkehren, wenn die Gefahr vorüber ist. Wird die intensive Überlebensenergie nicht „verbraucht“, die wir während einer wahrgenommenen Bedrohung zu unserer Verteidigung aufgebaut haben, erfahren wir das Leben fortlaufend so, als würde die Gefahr noch immer bestehen.

Das bedeutet, dass die für die Stressregulation zuständige Region des Gehirns, das Reptiliengehirn, mit instinktiven Aktionen, dem Überlebenstrieb und seine dafür notwendigen Handlungsmuster, auch die Ausschüttung des Stresshormons steuert (Arousal). Dafür verantwortlich ist die „Alarmmeldezentrale“ im Gehirn, die Amygdala (emotionales Verarbeitungssystem des Gehirns), die die gefühlsmäßige Information einer Bedrohung „meldet“. Das kann zur Generalisierung der Angstreaktion und zu einer permanenten inneren Verteidigungssituation führen.

Der sensorisch-motorisch-neuronale Ablaufplan, der zum Zeitpunkt der Bedrohung in Bewegung gesetzt wurde, wird angehalten. Der gesamte Energieüberschuss bleibt im Körper eingeschlossen und schafft das Potential für traumatische Symptome:

  • Übererregung
  • Kontraktion
  • Dissoziation
  • Empfindungen von Taubheit und Erstarren (Einfrieren)
  • Gefühle der Hilf- und Hoffnungslosigkeit

Die affektive Erregung kann nicht bewusst gesteuert und reguliert werden und die traumatisierte Person pendelt häufig zwischen den Zonen der Untererregung und der Übererregung hin und her. Das kann die Lebensqualität weiter verringern.

Nach Damasio ist der Körper die wichtigste Bühne der Emotionen, ob direkt oder über seine Repräsentation in somatosensorischen Strukturen des Gehirns. Die Fehlregulation von autonomen Körperreaktionen bewirkt eine verschlechterte Affektmodulation und eine verschlechterte Stressregulation. Durch die Abschaltung des Broca Areals (Sprachzentrum) können die quälenden und intensiven Gefühlszustände nicht bearbeitet werden. Erst durch die Beachtung und die Beeinflussung der Körperreaktionen und durch die Beruhigung der Traumaphysiologie können die ungelösten Probleme aus Vergangenheit und Gegenwart bearbeitet werden.

Dauern das Erlebnis eines Traumas, die Intrusionen (unwillkürliche und belastende Erinnerungen an das Trauma), ein Vermeidungsverhalten und ein allgemeiner emotionaler Taubheitszustand und die Übererregung (Hyperarousal) länger als ein Monat an, spricht man von einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Man unterscheidet zwei Arten von Traumen:

  • Menschlich verursachte Traumen, sogenannte man made disasters (sexuelle und körperliche Misshandlung in der Kindheit, kriminelle und familiäre Gewalt, Vergewaltigung, Kriegserlebnisse, terroristischer Anschlag, zivile Gewalterlebnisse wie z.B. Geiselnahme, Folter und politische Inhaftierung, Massenvernichtung)
  • Katastrophen, berufsbedingte und Unfalltraumen (Naturkatastrophen, technische Katastrophen wie z.B. Brand, Gasgebrechen, berufsbedingte wie z.B. Militär, Polizei, Feuerwehr, Arbeitsunfälle, Verkehrsunfälle)

Man spricht von einem Trauma Typ 1 und von einem Trauma Typ 2 (L. Terr, 1995):

Trauma-Typ 1: einmaliges Trauma, Schocktrauma (Katastrophen, Unfälle, Gewalttaten etc.)

Trauma-Typ 2: komplexes, längeres traumatisches Geschehen (wiederholte Gewalt, Missbrauch, Misshandlung, Serie von Einzelereignissen etc.)

Posttraumatische Belastungen zeigen sich durch
  • Akute Belastungsreaktion (Zustand der Betäubung, Rückzugsverhalten, Überaktivität, vegetative Zeichen panischer Angst, Ärger, Aggression, Verzweiflung)
  • Posttraumatische Belastungsstörung
  • Anpassungsstörung
  • Dissoziative Störungen
  • Psychotische Störungen
  • Depression
Begleiterkrankungen können sein
  • Angststörungen
  • Depressionen
  • Suizidalität
  • Anpassungsstörungen
  • Psychose
  • Medikamenten-Alkohol-Drogen-Missbrauch
  • Somatisierungsstörungen (Verdauungsstörungen, chronische Schmerzen, Herz-Kreislauf-Symptome, Konversionssymptome-unerträgliche psychische Zustände äußern sich durch körperlichen Ausdruck, Sexualstörungen)
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Neurobiologische Auswirkungen:
  • Störungen im Bereich der Stressregulation
  • Störungen im Bereich der neuronalen Informationsverarbeitung
  • Störungen im Bereich der neuronalen Informationsspeicherung
  • Fragmentiert im impliziten Gedächtnis gespeichert
  • Ursprüngliche Erlebnisqualität bleibt aufrecht
  • Kann in keinen Bedeutungszusammenhang gebracht und in sprachlicher Form nicht adäquat kommuniziert werden
  • Jederzeit durch Trigger (sensorische Auslöser) aktivierbar
Einzelsymptome:
  • Intrusionen (Erinnerungen, Erinnerungsbruchstücke)
  • Alpträume
  • Flashbacks (Erinnerungsattacken)
  • Physiologische Reaktionen bei Erinnerung (zittern, Herzklopfen, Atembeschwerden, schwitzen, Magen-/Darmbeschwerden)
  • Vermeidungsverhalten (Gedanken, Gefühle, Aktivitäten, Situationen)
  • Amnesien
  • Verminderung von Interesse
  • Erstarrung
  • Ein- und Durchschlafschlafschwierigkeiten
  • Erhöhte Reizbarkeit
  • Konzentrationsschwierigkeiten
  • Übermäßige Wachsamkeit (Hypervigilanz)
  • Übermäßige Schreckreaktion
Psychische Traumatisierung im Kindes- und Jugendalter

kann als eine das Kind/den Jugendlichen in seiner psychischen Entwicklung überfordernde Lebenserfahrung verstanden werden, der es wehrlos, hilflos und unentrinnbar ausgesetzt ist. Traumatische Sinneserfahrungen und damit verbundene Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen und Verhaltensmuster können nicht in gewohnter Weise in die bestehenden Kategorien und Schemata (Realitätsschemata, Selbstbild, Zeitschema) richtig zugeordnet werden. Als Folge treten psychische Symptome auf. Bewältigungsstrategien solcher Symptome können sich im Alltag als dysfunktional erweisen (Betäubung durch Medikamente, Alkohol, Drogen, Rauchen, Essen, Selbstverletzung und durch (sexuelles) Risikoverhalten). Wenn Angst oder Nervosität unerträglich werden, bedienen sie sich der Dissoziation. Regelmäßige Dissoziationen führen zu Identitäts- und Persönlichkeitsveränderung. Zu den Traumafolgestörungen zählen die akute Belastungsreaktion, die Anpassungsstörungen und am häufigsten die posttraumatische Belastungsstörung. Komorbiditäten sind ADHS, affektive Störungen, Angststörungen, somatoforme Störungen, suizidales Verhalten und Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Alltages.

mehr ...

Ob ein Ereignis traumatisierend ist oder nicht ist immer abhängig von:

  • Dem Stand der kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklung
  • Der speziellen „traumatischen Situation“
  • Der posttraumatischen Konstellation
  • Den schutzgebenden (protektiven) Faktoren
  • Der Art der Hilfestellung

Posttraumatische Belastungsstörung bei Kindern:

  • Rückzug, Angst, Misstrauen
  • Aggression, antisoziale Verhaltensmuster
  • Übererregbarkeit, Übersensibilität
  • Konzentrationsstörungen
  • Schlafstörungen, Alpträume
  • Lern- und Leistungsstörungen
  • Psychosomatische Störungen
  • Selbstschädigende Verhaltensweisen

Zudem äußert sich bei Kindern ein Psychotrauma durch wiederkehrende, sich aufdrängende Erinnerungen (visuell, akustisch, über den Geruchssinn …), durch immer wieder wiederholte Verhaltensweisen (z.B. automatisierte Verhaltensweisen im Spiel), durch traumaspezifische Ängste, Vertrauensverlust und durch negative Erwartungen an die Zukunft.

Bei Jugendlichen zusätzlich:

  • Drogenprobleme
  • Suizidversuche
  • Sexuelle Straftaten
  • Soziale Anpassungsstörung

(Quelle: Dr. Gertrude Bogyi, Boje)